Christ in der Gegenwart        64. Jg. 2012        Nr. 46        S. 522


Fallende Tage, alle gezählt

Heinz-Albert Heindrichs verfasst Gedichte, die das Leben abschreiten im Überschreiten

von Otto Betz

Seit Jahrzehnten schreibt Heinz-Albert Heindrichs, der in Gelsenkirchen lebt, Gedichte. Da geschieht vielleicht, um nicht vereinnahmt zu werden, um sich abzusetzen und das eigene Sein zu erproben, um sich zu vergewissern, ob das eigene Herz noch schlägt, die eigene Sprache noch klingt oder ob neue Versionen erprobt werden müssen.

Der zuletzt veröffentlichte Band hat einen charakteristischen doppelten Titel: «Gezählte Tage / Im freien Fall». Hier schreibt einer, der weiß, dass Leben immer auch Abschiednehmen heißt. In der Rückschau tauchen Seligkeiten und Ängste auf, und alle Stationen waren Durchgänge, alle erreichten Ziele waren Vorübergänge, alle gefundenen Antworten entpuppten sich als neue Fragen.

Auch wenn eine gewisse Melancholie immer spürbar ist, nie ist eine Resignation zu beobachten. Vielmehr herrscht ein Gefühl der Dankbarkeit vor. Von allem konnte gelernt werden: von der Schnecke, dass sie ihr Haus nach dem goldenen Schnitt baut; von der Amsel, dass sie über zahllose Strophen und Variationen verfügt. Über «das Wunder / der Augen und Ohren / des Atemholens der Sprache» heißt es: «Wie kann ich je danken / für dies Geschenk». Weil es eine große Verbundenheit mit allen Dingen und Wesen gibt, ist ein Liebesdialog entstanden.

Heinz-Albert Heindrichs, 1930 in Brühl geboren, ist Komponist, Maler und Dichter. Vielleicht stehen deshalb neben den optischen Eindrücken immer auch die akustischen, werden aus den knappen Strophen grafische Gebilde. Und weil er als suchender und fragender Christ in der Welt steht, ist dem Musiker aufgegangen: «Musik / Die unbedingteste Richtung zum Schweigen hin / Wo ander / Als im Unhörbaren / Muss es zu suchen sein / Da wir Gott / Genannt».

Die Suchbewegung geht immer weiter. Sie kann nicht abgeschlossen werden, «denn / was du findest / ist nicht was du suchst». Statt einer «Metasprache» wird nur eine «Richtung zum Schweigen hin» entdeckt. Aber der alternde Autor erlebt es auch als Glück: Man kann den Tag an ein Gedicht verschwenden. Trotzdem muss immer noch jedes Wort «neu geschürft und auf die Waage gehoben» werden. Erst wenn es unverzichtbar wiederholt werden kann, entgeht es dem Schicksal, verworfen zu werden.

Heindrichs gelingt es, für seine Einfälle die knappste Form zu finden. So bleibt dem Leser viel Raum, seine eigenen Gedanken mit denen des Schriftstellers zu verbinden. Er ist im Zweifel, er ist im Vertrauen. Grenzen werden gesehen, werden überschritten. Das Denkbare wird abgeschritten, das Undenkbare zugelassen. Zwei kurze Miniaturen: «Hast du / sie je erreicht / die Grenze des Möglichen / zum Unmöglichen / hin» – «Gedichte / sind Nachtkerzen / sie dürfen aufgehen / erst am Abend.»

 
Heinz-Albert Heindrichs
Gezählte Tage / Im freien Fall
Gedichte
Rimbaud Verlag, Aachen 2012

 

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